Vielleicht liegt es daran, dass ich als Coach auch im Netz gespeichert bin, auf alle Fälle bekomme ich ständig Anzeigen und Einladungen gezeigt, die mir deutlich machen, dass ich mich endlich mal zur besten Version meiner Selbst entwickeln sollte. Und bei diesem Gedanken wehrt sich etwas ganz tief in mir drin. Zwei Punkte stoßen bei mir besonders auf:
Einerseits die Idee, es gäbe eine bestehende Version meiner selbst wie eine Hülle, die schon vorgefertigt bereit steht und die ich wachsen sollte. Wenn ich dann endlich diese Version -am besten mit Nummerierung wie Prototyp T/65- komplett fülle, dann ist mein Lebensziel erreicht und ich bin fertig. Der Gedanke, einer Version inkludiert, dass es etwas Festes in mir Angelegtes gibt, dass zu erreichen sinnvoll ist. Aber das Leben bedeutet permanente Veränderung und Anpassung. Anpassung an die sich verändernden Umstände und unterschiedlichen Bedürfnisse von mir und meiner Umgebung. Das bekomme ich nicht in Einklang mit der Idee einer Version von mir selbst.
Andererseits die Vorstellung, dass ich unbedingt etwas tun muss, um Zufriedenheit zu erlangen. Dass ich ein Ziel habe, bei dessen Erreichung dann endlich die Belohnung wartet. Natürlich kann ich mich verändern. Selbstverständlich darf ich mich entwickeln, aber ich darf auch jetzt und hier zufrieden sein. Ich sollte sogar das Leben und all die Dinge, die es mir schenkt jetzt wertschätzen und geniessen. Und das bezieht mich, mit all meinen Charaktereigenschaften, meinem Verhalten mit ein. Ich bin jetzt und so wie ich bin gut und wertvoll! Wenn ich mich in bestimmten Situationen anders verhalten möchte, dann kann ich da meinen Fokus drauf legen, aber ich genüge so, wie ich bin.
Statt also in Richtung eines konkreten Ziels unterwegs zu sein, halte ich es für hilfreicher, mich zu lieben und mir meinen Reichtum bewusst zu machen. Es ist viel leichter, einen Weg zu gehen, wenn ich keinen übervollen Rucksack mit mir schleppe. Und wenn ich gute Schuhe trage, eventuell Wanderstöcke habe, oder andere Hilfen, die mir Unterstützung bei schwierigen Abschnitten gewähren. Der Rucksack steht für all die belastenden Glaubenssätze und Makel, die ich an mir sehe. Die Schuhe und Stöcke stehen für meine Stärken, Ressourcen (intern und extern) und verarbeiteten Erfahrungen. All das gilt es anzunehmen, erst einmal ohne es direkt verändern oder optimieren zu wollen. Denn all das macht mich aus.
Inneren Frieden kann ich nur finden, wenn ich mich mit mir selbst versöhne. Wenn ich mich mit meinen Eigenschaften annehme, so wie ich bin. Sollte ich dabei auf Eigenschaften stoßen, die mich immer wieder aus dem Gleichgewicht bringen, dann kann ich daran arbeiten, mein Verhalten zu verändern, aber ich bin trotzdem schon jetzt wertvoll.
Stell Dir jemand anderen vor, der Dich ständig kritisiert. Der Dir sagt, wie fehlerhaft Du bist und dass Du dringend an Dir arbeiten solltest. Jetzt bekommst Du von genau dieser Person noch einen Vorschlag, welches Verhalten von Dir zu ändern wäre. Würdest Du Dich auch nur ansatzweise auf diesen Vorschlag einlassen? Ich vermute nicht, denn warum sollten wir etwas tun um einem Menschen zu gefallen, der uns als Person nicht wertschätzt? Aber das gilt auch für uns selbst. Warum sollten wir gut gemeinte Ratschläge von uns selbst umsetzen, wenn wir uns selbst immer das Gefühl geben, nicht zu genügen? Aus genau diesem Grund plädiere ich dafür, dass Du Dich annimmst und wertschätzt. Dass Du Dich liebst und dieser Liebe auch Ausdruck verleihst, zum Beispiel in dem Du Dir regelmäßig etwas gönnst. Das kann eine Pause sein, bei der Du die Natur beobachtest, oder eine Schale guten Tees, oder eine halbe Stunde Sport, den Du mit Freude betreibst. Dann geniesse diese Belohnung aus ganzem Herzen, geniesse die Freude, die Du dabei empfindest. So zeigst Du auf eine wundervolle Art, dass Du Dich selbst liebst.