Was hat dieses Bild mit uns, unserer Identität und unseren Rollen zu tun?
Wir alle schlüpfen in ständigem Wechsel in verschiedene Rollen. Aber wir sind nicht unsere Rolle, sondern verändern unser Verhalten, je nach Anforderung der Rolle. Und je weiter unsere Rollen und deren Verhaltensmuster von unserem Kern entfernt sind, desto stärker wirkt die Fliehkraft. Es wird immer anstrengender diese Rolle zu erfüllen.
Als Mutter verhalte ich mich anders, denn als Kollegin. Gilt es im ersten Fall vielleicht gerade zum Schutz des Kindes eine klare Handlungsanweisung zu geben wie: „Du fährst nicht ohne Helm mit dem Fahrrad in die Schule!“, wäre solch ein Satz im zweiten unangemessen. Da würden wir unser Anliegen vermutlich eher als Bitte formulieren.
Je mehr wir es schaffen, unser Rollenverhalten in Annäherung zu unserer Identität zu bringen, umso weniger Energie kostet es uns. Und unsere Identität ist nicht nur eine Rolle, oder eine Person, sondern besteht aus verschiedenen Facetten, die aber alle auf den gleichen Bedürfnissen, Werten und Erfahrungen basieren.
Ist der Figur aus dem obigen Beispiel zum Beispiel Harmonie sehr wichtig, dann fällt es ihr vermutlich deutlich leichter, eine Bitte, als einen Befehl zu äußern. Aber in der Rolle ‚Mutter‘ ist genau das manchmal gefragt, oder auch in Krisensituationen.
Wenn wir es schaffen, mehr Klarheit über unsere Identität zu gewinnen können wir auch klarer agieren. Bringen wir dann unser Verhalten in den verschiedenen Rollen möglichst in Übereinstimmung, fühlen wir uns selbst auch stimmiger. Damit finden wir eine innere Balance, einen inneren Frieden, der aber nie statisch ist, sondern immer wieder neu austariert wird, je nach Rolle und Anforderung.
So wäre die Herausforderung für die Figur ihr Verhalten als Mutter in Beziehung zu dem Bedürfnis Harmonie zu setzen und sich bewusst zu machen, dass dieses Verhalten in der Situation richtig ist und nur momentan gilt. Als Mutter in anderen Situationen kann sie ihr Bedürfnis nach Harmonie mit dem Kind anders gestalten. Aber jetzt und hier ist ihr Verhalten angemessen.
Schwierig wird es, wenn wir immer wieder gegen unsere Bedürfnisse und Werte agieren. Wenn diese Frau zum Beispiel von ihrer Chefin aufgefordert wird, den Lieferanten gegenüber nicht so freundlich zu sein. Oder sie sich nicht traut, auch einmal „Nein“ zu sagen, wenn wieder Überstunden von ihr gefordert werden. Dann hat sie ein schlechtes Gefühl dem Kind gegenüber, wenn sie die Überstunden macht und fühlt sich auch schlecht, wenn sie die Forderung ablehnt. Ein Dilemma, das beide Male aus dem Bedürfnis nach Harmonie erwächst. Macht man sich das allerdings bewusst, ist das Dilemma lösbar. Zum Beispiel indem sie der Chefin entgegnet: „Ich kann verstehen, dass dieser Auftrag wichtig ist. Gleichzeitig habe ich meinem Sohn versprochen, mit ihm ins Kino zu gehen. Was halten Sie davon, wenn ich morgen etwas früher komme und direkt damit anfange?“