Was passiert eigentlich, wenn wir auf einen anderen Menschen treffen? Uns genügt ein winziger Augenblick, nicht mehr als ein Lidschlag und schon hat unser Unterbewusstsein ein Bild gefertigt. Ein Bild das im Abgleich mit unseren früheren Erfahrungen, mit den damit verbundenen Gefühlen, gewertet wird. Bevor wir in direkten Kontakt mit dem Menschen treten formte unser komplexes Rechenzentrum unter der Schädeldecke schon eine Erwartungshaltung für unsere Begegnung. Das Doofe dabei ist, das wir in der Folge versuchen, dieses vorgefasste Bild zu bestätigen.
Bestimmt kennst Du die Kartons von Puzzles. Auf der Vorderseite ist das zu puzzelnde Bild abgebildet. Jetzt gilt es die passenden Teile zusammen zu bauen. Sollten Teile aus einem anderen Bild im Karton gelandet sein, werden diese einfach aussortiert. So ähnlich kann man sich das mit der Bestätigung von vorgefertigten Bildern vorstellen, die wir selbst und unbewusst kreieren. Nur die Teile, die in dieses Bild passen, werden gesehen und vervollständigen genau das, was wir erwartet haben. So wird sich im Laufe der Zeit herauskristallisieren, dass der Mensch sich genau so verhält, wie wir uns das direkt gedacht hatten. Wie schön, wir haben wieder mal recht gehabt.Leider hat dieser Prozess zwei Schwachstellen; Zum einen erschaffen wir das Bild eines Menschen aufgrund von einzelnen Details, die uns an andere Personen erinnern. Das kann eine Frisur sein, eine Sprechweise, Kleidung, Körperbau oder was auch immer. Die damit verknüpften Eigenschaften eines Menschen aus der Vergangenheit werden kurzerhand mit der Person hier in der Gegenwart ohne bewusste Überprüfung gleichgeschaltet. Zum anderen blenden wir all die Verhaltensweisen aus, die nicht ins Bild passen, selbst wenn wir uns dafür mächtig anstrengen müssen, aber nichts ist schlimmer, als sich zu korrigieren. Man bezeichnet das als die innere Harmonie-Falle oder den Zustand der Kohärenz, den Menschen grundsätzlich anstreben.
Jetzt könnte man denken, na gut, wenn ich das weiß, dann mache ich das halt nicht mehr. Nach dem Mott: Gefahr erkannt, Fahr gebannt.“ Aber so einfach ist das nicht, weil es eben kein bewusster Prozess ist und weil er so schnell abläuft, dass wir es gar nicht mitbekommen. Aber natürlich können wir uns trotzdem überlegt verhalten. Dafür ist es wichtig, mit dem Wissen wie wir funktionieren, gerade bei starken Gefühlen für oder gegen eine Person uns die verknüpften Bilder und Wertungen bewusst zu machen. Dann diese Wertung auszusprechen und zu korrigieren und/oder zu erweitern. Angenommen wir kannten in der Vergangenheit eine Person, die stotterte. Dieser Mensch wurde deswegen gehänselt und zeigte in diesen Situationen kein Durchsetzungsvermögen. Statt diese Wertung auf andere Menschen, die stottern zu übertragen, könnte ich mir sagen: „Wenn ich eine Person sehe die stottert denke ich an Tiger Woods, der als Kind auch stotterte.“ Oder „Ja diese Person stottert und gleichzeitig geht sie sehr aufrecht, trägt angemessene Kleidung …“ Also keine Reduktion auf einige wenige Aspekte, von denen ausgehend wir unser Bild konstruieren sondern den Menschen in seiner Gänze versuchen zu sehen.
Habe ich einen Menschen wegen seines Verhaltens in eine Schublade gesteckt kann ich ganz bewusst nach Aspekten in seinem Verhalten suchen, die nicht zu meiner Wertung passen. Denke ich also, dass jemand kein Durchsetzungsvermögen hat, sollte ich ganz bewusst wahrnehmen, wann diese Person für die eigene Meinung eintritt. Wie sie ihren Standpunkt vertritt, ohne mit der Faust auf den Tisch zu hauen, usw. Wir müssen hier suchen, weil unser Autofokus diese Verhaltensweisen zu den Puzzleteilen zählt, die sofort vom Unterbewusstsein aussortiert werden.
Diese Aspekte gelten natürlich besonders in Konflikten, denn da ist unsere Bereitschaft unseren Kontrahenten positive Aspekte zuzusprechen äußert gering. Aber gerade da lohnt es sich. Allein durch den Mut, diesen Vorannahmen nicht blind zu folgen, haben wir schon einen wesentlichen Schritt Richtung Konfliktlösung gemacht.